Nordsee Strand Friesland
Es ist schwer zu sagen, was Qigong wirklich ist. Ich finde, jede Erklärung ist zu ungenau. Ich bin der Überzeugung, wenn man ein tiefes Verständnis erwerben möchte, was Qigong ist, muss man sich auch mit der Denkweise der Chinesen beschäftigen.

Viele Begriffe und Zusammenhänge verstehen wir aus unserem westlichen Verständnis heraus. Dieses Verständnis mag dann nicht völlig falsch sein, wird aber meistens dem wahren Sinn nicht gerecht. Deswegen beschäftige ich mich mit chinesischer Philosophie.

Ich hatte das Glück, dass ich mich während meines China-Aufenthalts 2015 mit Professor Paul Wang von der Universität Peking ausführlich unterhalten durfte. Er hat mir an langen Abenden die chinesische Philosophie des Daoismus und Buddhismus, von Konfuzius und Laozi und anderen nähergebracht.

Auf dieser Seite möchte ich nun von Zeit zu Zeit immer mal wieder ein neues Zitat der alten Meister reinstellen. Ich möchte damit ein wenig zum Nachdenken anregen. Vielleicht gelingt es dem Leser dann auch, eine Verbindung zu seinem Qigong herzustellen. Vielleicht verändert sich dann auch sein Qigong ein wenig.

Möge das Qi mit Dir sein!



Konfuzius:

Der Zustand, in dem Hoffnung und Zorn, Trauer und Freude nicht aufkommen, heißt Mitte (zhong). Kommen diese Gefühle auf, sind aber alle ausgewogen, so heißt dies Harmonie. Zhong – das ist die große Substanz des Universums. Harmonie – das ist der zielführende Weg (das Dao). Sind zhong und Harmonie vollkommen, dann ruhen Himmel und Erde an ihrem richtigen Ort und gedeihen.

Beim Qigong ist es wichtig, dass man seine „Mitte“ findet. Man soll aber nicht nur physisch, sondern auch psychisch ausgewogen stehen. Mit Zhongyong beschreibt Konfuzius einen ruhigen und stabilen Gemütszustand.
Laozi - Daodejing Vers 12:

„Die fünf Farben bringen den Menschen so weit, dass sein Auge erblindet. Die fünf Töne bringen den Menschen dahin, dass sein Ohr taub wird. Die fünf Geschmäcker bringen den Menschen dahin, dass sein Mund unempfindlich wird. Jagd und Waidwerk bringen den Menschen dahin, dass er den Verstand verliert. Schwer erhältliche Dinge bringen den Menschen dahin, dass er Verbrechen begeht. Deshalb lässt der Heilige den Magen arbeiten und beschäftigt nicht das Auge. Daher hält er sich von dem einen fern und wählt das andere."

In der TCM besteht das Konzept der fünf Elemente: Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser, die sich gegenseitig beeinflussen und die als Stadien begriffen werden, die Dinge und Ereignisse durchlaufen. Dieses auf der Zahl fünf beruhende System, die Theorie der fünf Wandlungsphasen, in das alle kosmischen Prozesse eingeordnet wurden, entstand im 5. Jahrhundert v. Chr.

In diesem Vers warnt Laozi vor jeder Form übermäßigen Exzess. Zu viele Farben sind chaotisch. Sie ermüden die Augen und sind nicht schön anzusehen. Jeder Künstler würde dem zustimmen. Die richtige Auswahl der Farben ist entscheidend für ein Kunstwerk. Ähnlich ist es mit den Tönen. Wenn in einem Orchester alle Instrumente gleichzeitig spielen würden, wäre das nicht schön anzuhören. Auch hier ist es wichtig, dass die Instrumente (Töne) richtig zusammenwirken. Ein guter Koch versteht es, die Geschmäcke (Gewürze) reduziert einzusetzen. Nur so kann sich dann der volle Geschmack einer Speise entfalten. Nur eine vernünftige Mäßigung kann zu einem großartigen Resultat führen – weniger ist mehr! Das gilt nicht nur für die Farben, Töne und Geschmäcker, sondern es gilt generell für das Leben.

Der Heilige (der Weise) strebt nicht nach Dingen, die seine Augen sehen können. Stattdessen sorgt er sich um seinen Magen. Das bedeutet nicht, dass er sich nur darum kümmert, den Magen zu füllen, bevor er nach weiteren Köstlichkeiten sucht. Gemäß der chinesischen Tradition ist der Magen weit mehr als nur ein Organ. Der Magen ist das Zentrum des Menschen, es ist das Zentrum der Kraft. In der Magengegend ist das Dantian. In diesem Dantian wird Energie (Qi) regeneriert. Man muss sich auf das Dantian konzentrieren, um seine Lebenskraft zu stimulieren.

Wenn Laozi also sagt, wir sollen uns auf den Magen (das Dantian) konzentrieren und nicht auf das, was unsere Augen sehen, dann meint er, wir sollen unsere Mitte finden. Damit erinnert uns Laozi, dass wir unsere Prioritäten richtig setzen. Was uns unsere Augen zeigen, verändert sich, können Illusionen sein, aber was wir im Dantian fühlen ist wahr.
Laozi - Daodejing Vers 42:

„Der SINN [das Dao] erzeugt die Eins
Die Eins erzeugt die Zwei
Die Zwei erzeugt die Drei
Die Drei erzeugt alle Dinge
Alle Dinge haben im Rücken das Dunkle [Yin]
Und streben nach dem Licht [Yang],
Und die strömende Kraft [das Qi] gibt ihnen Harmonie.“

Laozi stellt in diesem Vers nicht nur die Entstehung der Welt dar, sondern gleichzeitig auch noch deren Beschaffenheit: Die Lebens- und Schöpferkraft Qi wirkt in allen Dingen. Das Qi selbst und auch alle anderen Dinge wirken aus der Polarität, sie sind entweder dem Yin oder dem Yang zugeordnet.
Laozi - Daodejing Vers 48:

„Wer das Lernen übt, vermehrt täglich.
Wer den SINN [das Dào] übt, vermindert täglich.
Er vermindert und vermindert,
Bis er schließlich ankommt beim Nichtsmachen.
Beim Nichtsmachen bleibt nichts ungemacht.“

Hier wird das Prinzip des „wu wei“ erklärt. Unter „wu wei“ ist ein Handeln ohne zu handeln, ein Eingreifen ohne einzugreifen zu verstehen. Dieses Handeln steht spontan im Einklang mit dem Dao. So wird das Notwendige getan, jedoch ohne Übereifer. Es ist ein Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt. Wenn man dieses Prinzip des „wu wei“ verstanden hat, dann ist einem dieses Wissen beim Qigong sehr hilfreich.
Zhuangzi - über das Shen, über wu wei, über Yangsheng:

Ein Koch sprach zu seinem Fürsten über seine Fähigkeit einen Ochsen zu zerteilen:

„… Der SINN [das Dao] ist es, was dein Diener liebt. Das ist mehr als Geschicklichkeit. Als ich anfing, Rinder zu zerlegen, da sah ich eben nur Rinder vor mir. Nach drei Jahren hatte ich es so weit gebracht, dass ich die Rinder nicht mehr ungeteilt vor mir sah. Heutzutage verlasse ich mich ganz auf den Geist [das Shen] und nicht mehr auf den Augenschein. Der Sinne Wissen habe ich aufgegeben und handle nur noch nach den Regungen des Geistes [des Shen]. Ich folge den natürlichen Linien nach, dringe ein in die großen Spalten und fahre den großen Höhlungen entlang. Ich verlasse mich auf die (anatomischen) Gesetze. Geschickt folge ich auch den kleinsten Zwischenräumen zwischen Muskeln und Sehnen, von den großen Gelenken ganz zu schweigen.

Ein guter Koch wechselt das Messer einmal im Jahr, weil er schneidet. Ein stümperhafter Koch muss das Messer alle Monate wechseln, weil er hackt. Ich habe mein Messer nun schon neunzehn Jahre lang und habe schon mehrere tausend Rinder zerlegt, und doch ist seine Schneide frisch geschliffen. Die Gelenke haben Zwischenräume; des Messers Schneide hat keine Dicke. Was aber keine Dicke hat, dringt in Zwischenräume ein – ungehindert, wie spielend, so dass die Klinge Platz genug hat. Darum habe ich das Messer nun schon neunzehn Jahre, und die Klinge ist wie frisch geschliffen. Und doch, so oft ich an eine Gelenkverbindung komme, sehe ich die Schwierigkeiten. Vorsichtig nehme ich mich in acht, sehe zu, wo ich haltmachen muss, und gehe ganz langsam weiter und bewege das Messer kaum merklich – plötzlich ist es auseinander und fällt wie ein Erdenkloß zu Boden.“

Der Fürst Wen Hui sprach: “Vortrefflich! Ich habe die Worte eines Kochs gehört und habe die Pflege des Lebens gelernt.“